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Saisonvorschau

Saisonvorschau, Teil 3 – erste Eindrücke der Neuzugänge

Verglichen mit dem grandiosen Goldmedaillen-Gewinn der deutschen Basketball-Nationalmannschaft muss man sagen, dass der Season-Opener der Tigers-Tübingen inklusive der offiziellen Teamvorstellung am gestrigen Nachmittag doch etwas weniger glamourös und hochklassig daher kam. Trotzdem war es zumindest für mich die erste Möglichkeit, die neu formierte Mannschaft live zu sehen. In einer insgesamt eher durchwachsenen Partie gegen die Bozic Estriche Knights Kirchheim gewannen die Tigers schließlich mit 85:74. Viel spannender als das Ergebnis war es dabei aber für mich, die Neuzugänge der Tigers zum ersten Mal zu Gesicht zu bekommen. Meine Einzelbesprechungen – die, man muss es betonen, wirklich nur auf einem ersten Eindruck und damit einer furchtbar gerinegn Datenmenge beruhen – finden sich im Folgenden.

Kaodirichi Akobundu-Ehiogu:

Hält, was ich mir bisher nach seiner Verpflichtung versprochen habe. Hat direkt im ersten Viertel mit zwei wirklich spektakulären Blocks gezeigt, dass mit ihm als Ringbeschützer von der Helpside jeder Abschluss am Korb vielleicht doch noch einmal überdacht werden sollte. In der ersten Hälfte haben die Tigers das Pick-and-Roll mit ihm in der Dropverteidigung bekämpft, was ein spannender Ansatz ist, da für die meisten attackierenden Spieler die Zone damit erstmal eine No-Go-Area wird. Gleichzeitig hat Kao besonders in der ersten Hälfte defensiv aber auch große Anfälligkeiten gegen das gegnerische Post-Up gezeigt, wo seine Gewichtsnachteile nicht nur von Nick Muszynski (den ich kommende Saison als einen der stärkeren ProA-Center sehe), sondern auch Antonio Dorn immer wieder ausgespielt werden konnten. In der zweiten Hälfte sah Kao diesbezüglich schon etwas besser aus, konnte eher dagegenhalten und wurde dann gegen das Pick-and-Roll auch im Switch eingesetzt, was zumindest in meinen Augen auch eine durchaus gangbare Option ist. So gut wie niemand wird – wie Kirchheims Michael Flowers schmerzhaft erfahren musste – aus dem Dribbling über Kao werfen können wird, ohne zumindest sehr gestört, wenn nicht sogar rüde abgeräumt zu werden. Am Ende der Partie standen für Kao laut Tigers-Website und Tagblatt drei Blocks zu Buche, wobei ich in der Halle mindestens zwei mehr gesehen habe. So oder so ist klar, dass Kao defensiv ein absoluter Gamechanger sein kann, um den herum gegnerische Teams ihre Offense planen müssen.

Im Angriff hingegen hat sich gezeigt, dass Kao noch unfassbar roh ist und es eine Weile brauchen wird, bis er hier einen annähernd so großen Impact auf das Spiel haben wird, wie in der Defensive. Seine meisten Ballkontakte hatte Kao auf dem Flügel, wo er nur als Pass-Station genutzt wurde, oder ins Hand-Off mit seinen Guards gegangen ist. Seine 4 Punkte entstanden durch Fouls an ihm nach Durchsteckern oder Offense-Rebounds (Freiwurfquote 2/4, wobei der Wurf aber technisch wirklich ok aussieht) und im vierten Viertel dann endlich per Dunk nach Alley-Oop-Zuspiel von Jhivvan Jackson. Besonders im Abrollen sehe ich noch viel Luft nach oben für die gesamte Tigers-Offense, ihren besten Athleten konsequenter zu suchen und hoch anzuspielen, die absolute Lufthoheit wird er vermutlich in jeder Partie haben. Ansonsten ist zum jetzigen Zeitpunkt offensiv neben Putbacks, verwerteten Durchsteckern und Alleys nicht viel von Kao zu erwarten. Sein einer Post-Up gegen Antonio Dorn endete nach einer wirren Fußarbeitseinlage mit einem Hakenwurf, der traurig gegen das Brett klatschte. Danach wurde Kao in dieser Situation von seinen Mitspielern (wohl zurecht) auch nicht mehr gesucht.

Jhivvan Jackson:

War von Beginn an sichtlich bemüht, seine Rolle als Point Guard auszufüllen und verstand es vor allem in der ersten Hälfte als seine Hauptaufgabe, den Ball an seine Mitspieler zu bringen. Das Zeug dazu hat er durchaus, das Ballhandling sieht gut aus, die Pässe fanden ihren Empfänger, Systeme wurden angesagt und geduldig gelaufen und der Ball auch im Break schnell nach vorne gebracht. Was in seiner Point Guard-Rolle, zumindest in meinen Augen, aber absolut zu kurz kam, war Jacksons eigenes Scoring. Immer wieder habe ich mich während des Spiels ertappt, wie ich mir gewünscht hätte, dass er – besonders nach einem Switch – sich seinen Verteidiger einfach im 1-gegen-1 vorknöpft und scort. Dass Jackson das kann wurde nicht nur bei seinen bisherigen Karrierestationen offensichtlich, sondern auch in der zweiten Halbzeit, als er immer wieder neben Aatu Kivimäki eingesetzt wurde, der dann die Rolle des Point Guards übernommen hat und Jackson so die Möglichkeit gab, offensiv befreit aufzuspielen und zu scoren.

So wurde der Puerto Rican Iverson dank eines selbstbewussteren Schlussviertels am Ende doch Tigers-Topscorer mit 17 Punkten, was umso beeindruckender ist, da ich das Gefühl hatte, dass er ungefähr zwei Drittel des Spiels offensiv mit angezogener Handbremse gespielt hat und seinen eigenen Abschluss eher gemieden hat. Zumindest offensiv würde ich mir daher wünschen, dass Jackson so oft wie möglich neben Kivimäki auflaufen darf, damit er nicht seiner größten Stärke, seines Shotmakings, beraubt den Ballvortrag übernehmen und Systeme einleiten muss, sondern den Tigers als Scorer wichtige Impulse geben kann. Besonders da durch einen aggressiven Jhivvan Jackson, der im 1-gegen-1 nur äußerst schwer zu stoppen ist, sich unweigerlich auch mehr Freiräume für seine Mitspieler eröffnen werden, bin ich der Meinung, dass es keinesfalls egoistisch von Jackson wäre, mehr seinen eigenen Wurf zu forcieren. Besonders wenn sich die Tigers Tübingen wie gestern offensiv eher zögerlich präsentieren, wäre es in meinen Augen sehr sinnvoll, Jackson in solchen Situationen offensives Momentum und Platz für seine Teammates generieren zu lassen. Fraglich wäre nur, wie defensiv anfällig eine dauerhafte Combo von Kivimäki und Jackson auf den Guard-Positionen wäre, da man so doch sehr viel Größe abgeben würde, die man nur begrenzt mit Aggressivität kompensieren kann.

Jimmy Boeheim:

Von allen Neuzugängen (und vermutlich auch allen Tigers-Spielern, die gestern insgesamt eingesetzt wurden), hatte Jimmy Boeheim wohl den schwierigsten Abend. Als Starter auf der Power Forward-Position (wo er dann von Christoph Philipps vertreten wurde, die Tigers werden wohl wirklich sehr klein spielen in der kommenden Saison) wollte ihm von Spielbeginn an nichts so wirklich beginnen. Anders als seine Vorgänger auf dem Spot des Combo-Forwards, Ryan Mikesell und Zac Seljaas, ist Boeheim offensichtlich ein Spieler, der weniger mit dem Ball in den Händen für sich und andere kreiert, sondern der vor allem aus der Bewegung ohne Ball und dann dem Catch-and-Shoot, beziehungsweise dem Catch-and-Drive seine Offensive aufzieht. An seiner Bewegung ohne Ball und seiner Entscheidungsfindung gibt es generell auch nichts auszusetzen, Boeheim scheint ein smarter Spieler zu sein, der wirklich keinen groben Unfug anstellt, aber leider wollte einfach kein Wurf für ihn fallen. Bedauerlicherweise habe ich keine genaueren Statistiken zur Verfügung – falls irgendwelche Tigers-Verantwortlichen hier mitlesen: hätte es irgendjemand geschadet, den Boxscore zu veröffentlichen, der ja offensichtlich für die beiden Teams geführt wurde? – aber ich denke, dass Boeheim am Ende mindestens mit einer Wurfquote von 0/7 aus dem Spiel ging. Dabei tat es mir aufrichtig Leid zu sehen, wie er nach jedem Fehlwurf und nach jeder Auswechslung, mehr mit sich gehadert hat, frustriert in die Hände geklatscht hat – gefühlt auch um seinem Team zu zeigen, dass keiner heute so enttäuscht von ihm ist wie er selbst.

Und dieser Knoten wollte das ganze Spiel über einfach nicht platzen. Im Schlussiertel hatte ich bei Boeheims letzten Minuten auf dem Feld auch schon den Eindruck, dass er gar nicht mehr aktiv nach seinem eigenen Abschluss suchte, sondern den Ball lieber an der Dreierlinie entlang weitergepasst hat, sicher in der Offense beinahe versteckte. Nun war dieses Testspiel gegen die Bozic Estriche Knights Kirchheim natürlich nur eine kleine Momentaufnahme mit beschränktem Aussagewert, was die kommende Saison betrifft, aber ich hoffe doch sehr, dass Boeheim sich schnell im Team wohlfühlt und das Selbstvertrauen findet, in der Offensive dauerhaft einen wichtigen Beitrag zu leisten. Das Vertrauen von Coach Jansson, der Boeheim sowohl in der ersten, als auch der zweiten Halbzeit starten ließ und ihm trotz seines schwachen Offensivtages gefühlt mindestens 20-25 Minuten (nochmal: warum kann man nicht einfach den Boxscore abfotografieren und irgendwo hochladen?) an Spielzeit zugestand, genießt der neue Tigers-Forward zumindest schon einmal. Hoffen wir, dass er es möglichst bald zurückzahlen kann.

Zaccheus Darko-Kelly:

ZDK, der nur wegen der späten Verpflichtung Kaos nicht den unhandlichsten Namen im Tigers-Kader hat, war der Spieler, der mit seiner Performance und seiner Rolle meine Erwartungen am genausten erfüllt hat und ziemlich genau das das gelieferte, was ich von ihm erwartet hatte: einen sehr guten Motor in der Defensive, Tempo in der Bewegung nach vorne, sowie gute Entscheidungen und Treffsicherheit in der Offensive, wo er auch gut um Blöcke abseits des Balls kommt und aus diesen Situationen als Shooter oder mit dem Drive gefährlich werden kann. Darko-Kelly wirkt auf mich sehr zuverlässig in ziemlich allem, was er macht und scheint mir zurecht ein integraler Bestandteil von Danny Janssons Kaderplanung. ZDK startete nicht nur die erste und zweite Halbzeit, sondern war auch Bestandteil des Lineups, das mir mit Abstand am besten gefallen hat und das Spiel im dritten Viertel entschieden hat. Hier stand ZDK gemeinsam mit Till-Joscha Jönke, Aatu Kivimäki, Christoph Philipps und Krišs Helmanis auf dem Feld und man hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass eine Gruppe auf dem Parkett ist, die die Tigers-DNA von letzter Saison verkörpert. Auf einmal hat die Mannschaft eine unglaublich bissige Defense gespielt und konnte daraus die Knights auch immer wieder im Fastbreak bestrafen. Wenn die Tigers die Klasse halten wollen, müssen sie mit genau dieser Spielphilosophie dauerhaft antreten und dafür passt Darko-Kelly scheinbar sehr gut in den Kader.

Christoph Philipps:

Die letzte Verpflichtung der Tigers war vielleicht der interessanteste Spieler, den es gestern zu beobachten gab und hat mich direkt in zweierlei Hinsicht überrascht. Zum einen hatte ich nicht damit gerechnet, dass Philipps bei uns als Vierer auflaufen würde. Anhand seiner bisherigen Stationen in Ulm und Hamburg hatte ich Philipps auf der Zwei und Drei verortet, wo er mit seiner durchaus vorhandenen Länge defensiv glänzen konnte, aber eben so gut wie nie in Korbnähe eingesetzt wurde. Sicherlich auch der Verletzung von Mateo Šerić geschuldet war Philipps gegen die Knights für einen Großteil seiner Spielzeit auf der Position des Power Forward im Einsatz, was zumindest gegen die körperlich natürlich nicht ganz auf BBL-Niveau agierenden Kirchheimer defensiv auch gut geklappt hat. Offensiv macht die Unterscheidung zwischen Small und Power Forward meinem Eindruck nach ohnehin keinen großen Unterschied im System von Danny Jansson. Sowohl Philipps als auch Boeheim haben so gut wie gar nicht aus dem Post agiert, sondern ihre Offensivaktionen meist von der Dreierlinie aus gestartet.

Das Stichwort Offensivaktionen leitet zur zweiten Überraschung über, die Chrissi Philipps mir gegen Kirchheim bereitet hat: Besonders nach seiner letzten Saison in Hamburg hatte ich mit ihm als einem reinen Defensivspezialisten gerechnet, der in der Offense mal den Dreier aus der Ecke nimmt, aber sonst eher wenig in Erscheinung tritt. Dem war gestern nicht so, im Gegensatz zu seinem Positionskollegen Boeheim spielte Philipps mit einem Selbstbewusstsein, das mich persönlich doch überrascht hat – emblematisch dafür eine Szene aus dem ersten Viertel, in der Philipps (wie so viele seiner Teamkollegen in dieser Spielphase) zwei Freiwürfe verfehlte, nach dem Offensivrebound seiner Mannschaft aber direkt und komplett selbstverständlich seinem Gegenspieler einen Dreier in Gesicht drückte und traf. Hier scheint es, zumindest für mich als absoluten Laienpsychologen, doch zu helfen, dass Philipps mit Jansson für einen Coach spielt, den er schon aus seiner Zeit im Ulmer Jugendprogramm kennt und der ihm volles Vertrauen zu schenken scheint. Besonders im Fastbreak trat Philipps immer wieder aggressiv auf und attackierte den Korb nicht immer ganz souverän, aber entschieden. So standen nach Abpfiff 13 Punkte für Chrissi Philipps auf der Anzeigetafel der Paul Horn-Arena – man darf gespannt sein, ob er diese Produktion über die Saison aufrecht erhalten kann, aber die Rahmenbedingungen dafür scheinen unter Danny Jansson zumindest zu passen.