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Spielberichte

Tigers – Ulm

Was wäre das für eine triumphale Rückkehr in die Bundesliga gewesen? Heimsieg von David gegen Goliath, vom Aufsteiger gegen den deutschen Meister, Derbysieg vor ausverkaufter Paul Horn-Arena! Über drei Viertel konnte man als Tigers-Fan gestern träumen, dass die Rückkehr in die BBL in bester Sportschnulzen-Drehbuchmanier verlaufen würde, bis im letzten Viertel dann die Körner ausgingen und Ulm das Spiel doch noch souverän mit 84:99 nach Hause bringen konnte. Trotzdem bin ich einen Tag danach nicht enttäuscht, sondern eher vorsichtig zuversichtlich nach der starken Vorstellung der Tigers, die sich vor allem im Vergleich zum Saisonauftakt im Pokal gegen Braunschweig stark verbessert gezeigt haben und am Ende in vielerlei Hinsicht einfach zu klein waren, um die Sensation klarzumachen.

Rotation: zu kurz

Konnte man vor der Saison noch davon ausgehen, dass die Breite eine der großen Stärken des Tigers-Kaders sein würde, der durch die späte Verpflichtung von Chrissi Philipps vor allem auf den deutschen Positionen so besetzt schien, dass Danny Jansson fast eine Zwölfer-Rotation spielen konnte, sah der Saisonauftakt in dieser Hinsicht dann doch ganz anders aus. Durch die Verletzungen von Daniel Keppeler und Mateo Šerić, und die Tatsache, dass Erol Ersek weiterhin auf seinen deutschen Pass wartet und so den Import-Spot nutzen musste, den im Pokalspiel noch Zaccheus Darko-Kelly belegt hatte, traten die Tigers mit einem Zehnerkader gegen Ulm an, wobei Gianni Otto gar nicht zum Einsatz kam und Danny Jansson so effektiv eine Neuner-Rotation nutzte. Vor allem unter dem Korb machte sich das Fehlen zweier deutscher Leistungsträger mit Šerić und Keppeler bemerkbar.

Bis zum Schlussviertel konnten die Tigers bemerkenswert gut mithalten und Ulmer Läufe jeweils mit eigenen Runs beantworten. Mitte des dritten Viertels lagen die Gastgeber schon zweistellig zurück (56:68, 36. Minute), doch kamen angetrieben vor allem durch den wieder bockstarken Jhivvan Jackson gegen Ende des Spielabschnitts wieder auf einen Punkt heran (70:71). Im Schlussviertel mussten die Gastgeber ihrere intensiven Spielweise und dem dünnen Kader dann aber doch Tribut zollen: mit Kao und Krišs Helmanis waren die beiden einzigen wirklichen Bigs des Kaders schon mit vier Fouls belastet, während es den Tübinger Guards offensiv immer schwerer fiel, gegen den konstanten Ulmer Druck dagegenzuhalten. Am Ende des Spiels hatten mit Kao, Chrissi Philipps, Erol Ersek, Jhivvan Jackson und Krišs Helmanis die fünf Tigers-Spieler mit der längsten Einsatzzeit 22 ihrer verfügbaren 25 Fouls begangen, wobei Helmanis und Jackson das Ende des Spiels dann ausgefoult von der Bank aus beobachten mussten. So beendeten die zurecht platten Tigers das Spiel mit einer Siebener-Rotation und konnten außer in Person von Till-Joscha Jönke, der sich in den letzten Minuten noch einmal ein Herz nahm und seinem Ex-Club sechs Punkte einschenkte, überlegenen Ulmern nichts mehr entgegensetzen.

Unter dem Korb: zu schwach

Auch wenn die Reboundstatistik zum Ende des Spiel mit 30:40 aus Tübinger Sicht beinahe versöhnlich aussieht, war die Ulmer Dominanz unter den Brettern vor allem in der ersten Halbzeit des Spiels regelrecht erschreckend – das ganze ging zeitweise so weit, dass ich bei Ulmer Freiwürfen lieber gesehen habe, dass der zweite Versuch erfolgreich war, da ich zu große Angst vor dem Ulmer Offensivrebound hatte. Zur Halbzeitpause sah die Reboundbilanz von Tübinger Seite mit 9:21 dementsprechend düster aus. Vor allem der Tigers-Trefferquote aus der Distanz (40%, denen nur 18% auf Ulmer Seite gegenüberstanden) war zu verdanken, dass das Spiel zur Halbzeit mit 48:52 noch offen war.

Der Grund für die Tübinger Reboundunterlegenheit im ersten Spielabschnitt ist sicherlich zum einen in der Einstellung der Mannschaft zu suchen – wie mir in der Jugend schon immer eingebläut wurde, ist Rebounding zu einem großen Anteil eine Frage des richtigen Mindsets – die zur zweiten Halbzeit wohl justiert wurde, wo das Reboundduell sich dann ausgeglichen gestaltete. Trotzdem wäre es nach zwei Pflichtspielen, in denen die Tigers jeweil am Brett deutlich unterlegen waren, falsch, hier nicht auch auf die momentane Kaderzusammenstellung einzugehen. Spätestens mit der Verpflichtung Kaos war klar, dass die Tigers in dieser Saison unter dem Korb auf die Variante ‚Leichtbau‘ setzen werden und so gegen praktisch jeden Gegner in der BBL wenn nicht größenmäßig, dann zumindest kraftmäßig unterlegen sein würden – wobei die momentanen Verletzungen von Mateo Šerić und Daniel Keppeler diese Lage natürlich noch potenzieren. So bestand die Rotation der Tigers unter dem Korb gegen Ulm nur aus drei (wohlwollend so bezeichneten) nominellen Big Men: Kao (offiziell 2,08 m, 86 kg), Krišs Helmanis (2,09 m, 100 kg) und Jimmy Boeheim, der als Vierer ganze 2,03m und 98 kg mitbringt.

Schon gegen Braunschweig mit Jilson Bango war offensichtlich, dass diese Aufstellung vor allem defensiv anfällig ist und gegen die Ulmer Big Boys um die sympathischen Brecher Trevion Williams und Nicolas Bretzel, aber auch gegen athletische Flügel wie L.J. Figueroa und Karim Jallow wurde nochmal deutlich, dass der aktuelle Tigers-Kader große Probleme hat, Physis zu kontern. Williams, Figueroa und Jallow durften zu dritt ganze 28 (!) mal an die Freiwurflinie treten, was ein Freiwurf mehr ist, als das gesamte Tigers-Team nehmen durfte. Ohne Fouls konnten die Tübinger den (ehemaligen?)1 Erzrivalen unter dem Korb einfach nicht stoppen.

Zumindest in der momentanen Kaderzusammenstellung wird der Umgang mit gegnerischer Physis eine der großen Fragen sein, die der Tigers-Coaching-Staff vor den nächsten Spielen gegen Bonn und Vechta in seinen Herzen bewegen muss – selbst wenn die beiden genannten Teams bisher nicht unbedingt durch ihre Durchschlagkraft unter dem Korb glänzen. Und auch nach der Rückkehr von Šerić und Keppeler sehe ich trotz der unbestreitbaren Qualitäten der beiden keine unmittelbare Besserung in Sachen Körperlichkeit. Selbst Bakary Dibba, den ich schon kurz nach seiner Leihe nach Karlsruhe schwer vermisse, hätte zwar gestern defensiv die richtige Einstellung gebracht, aber wäre angesichts seines Körperbaus auch nicht die Patentlösung für die fehlende Durchschlagkraft unter dem Korb gewesen. So wird es sehr spannend zu sehen, wie Danny Jansson und Co. (die gegen Ulm modemäßig zum Saisonauftakt mit ihren aufeinander abgestimmten Boss-Rollkragen-Pullovern mit wunderbar billig wirkendem Gold-Aufdruck schon einmal ein absolutes Ausrufezeichen gesetzt haben) in den kommenden Spielen versuchen werden, die körperliche Unterlegenheit ihrer Mannschaft unter dem Korb auszugleichen – oder die hohe Mobilität ihres Frontcourts sogar zu einer Stärke der Mannschaft wenden können.

Selbstvertrauen: groß genug

Nach dem Heimauftakt gegen Ulm Trübsal zu blasen und die Saison abzuschreiben wäre trotz unbestreitbarer Probleme der Tigers, besonders unter dem Korb, aber mehr als ungerechtfertigt. Besonders offensiv sah das schon deutlich besser aus, als noch vor einer Woche gegen Braunschweig – vor allem in Bezug auf das Selbstvertrauen der Mannschaft. Hier setzte Erol Ersek (oder Erol Erscheck in den Worten des DYN-Kommentators), der für Zaccheus Darko-Kelly in der Kader gerückt war, direkt von Beginn an eine starke Duftmarke und hielt direkt ohne zu zögern von der Dreierlinie drauf. Bis zu seiner Auswechslung in der sechsten Minute hatte der Tigers-Guard schon dreimal aus der Distanz draufgehalten und dabei auch einmal getroffen – klar keine ganz optimale Quote, doch die Einstellung, die Würfe vom Start weg mit voller Überzeugung zu nehmen, war die absolut Richtige und setzte für die ganze Mannschaft den Ton für die weitere Partie.

Auch Jhivvan Jackson, der mir gegen Braunschweig noch zu verhalten begonnen hatte, zeigte diesmal direkt von Spielbeginn an, dass mit ihm als Scorer zu rechnen ist, beschränkte sich nicht auf den vorsichtigen Spielaufbau, sondern nahm sich die ersten beiden Würfe der Partie und setzte so den Grundstein für eine weitere hervorragende Scoring-Performance – am Ende standen für den Tigers-Guard 24 Punkte bei starken 60% aus dem Feld zu Buche. Dabei bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass das offensiv mit Abstand beste Tübinger Guard-Lineup aus Jackson in Kombination mit Aatu Kivimäki besteht – so müssen beide nicht die komplette Last des Spielaufbaus alleine tragen und schaffen Räume und Scoring-Möglichkeiten für den jeweils anderen. Ein eindrückliches Beispiel für das gemeinsame Offensivpotential der beiden Guards war der 8:0-Lauf Ende des zweiten Viertels, als die beiden innerhalb einer Minute gemeinsam 8 Punkte und einen Assist auflegten, den Rückstand ihrer Mannschaft von 38:48 auf 46:48 schraubten und so Anton Gavel in der 19. Minute zur Auszeit zwangen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Tigers – deren mangelnde Länge und Physis ich vor drei Absätzen noch laut beweint habe – es sich defensiv nicht dauerhaft leisten können, zwei Guards von 1,83 m und 1,85 nebeneinander auflaufen zu lassen. Offensiv sehe ich in diesem Duo in durch die Kombination aus Shooting, Playmaking und Drive (den dabei vor allem Jackson mitbringt) aber ein Cocktail, der viele BBL-Defensiven vor ernsthafte Probleme stellen kann.

Und wenn ich mich schon mit dem Thema des offensiven Selbstbewusstseins beschäftige, komme ich natürlich nicht darum herum, noch ein paar Worte zu Jimmy Boeheim zu verlieren, der in dieser Hinsicht bisher mein absolutes Sorgenkind im Kader war. Zwar zeigte Jimmy Buckets, wie ich ihn liebend gerne öfter nennen würde, von der Dreierlinie immer noch hin und wieder Rehkitz-ähnliche Scheu und passte den Ball für meinen Geschmack etwas zu schnell weiter, auf dem Weg zum Korb konnte er aber die guten Ansätze, die er gegen Braunschweig hatte aufblitzen lassen, weiter bestätigen und ging wiederholt auch gegen den Mann und mit Kontakt erfolgreich zum Korbleger hoch. Dazu war er auch an den Brettern engagiert und konnte in seinen nur knapp 20 Minuten Spielzeit sechs Rebounds, darunter zwei offensive (beides Tigers-Bestwert) abgreifen. Ich hoffe die Form- und vor allem Selbstvertrauenskurve zeigt hier in Zukunft noch weiter und vielleicht sogar noch etwas steiler nach oben, dann könnten wir noch große Freude an unserem Import-Forward haben.

(1): Zumindest ich verspüre beim Derby gegen ratiopharm ulm (als Teil der Corporate Identity konsequent klein zu schreiben!) schon seit langem keine ernsthafte Abneigung mehr gegen den Gegner – und habe den Eindruck, dass nicht zuletzt durch die zunehmende Anzahl an Querverbindungen der beiden Teams das Klima sich hier auch allgemein immer mehr zu einer freundlichen Rivalität wandelt. Mit Danny Jansson, Timo Lanmüller, Chrissi Philipps, Till Joscha-Jönke, Tyron McCoy und Robert Wintermantel – um nur die zu nennen, die mir spontan einfallen – gibt es auf beiden Seiten genug Akteure mit einer Vergangenheit beim jeweiligen Rivalen, um als Fan den gesamten Spieltag mit ‚Judas‘-Schreien zu verbringen. Dass das so nicht eingetreten ist, finde ich persönlich sehr angenehm. Die Tatsache, dass das Duell seit inzwischen gut einem Jahrzehnt auch längst nicht mehr auf sportlicher Augenhöhe geführt wird, wird ihr übriges getan haben, eventuell vorhandenen persönliche Animositäten weiter zu entspannen.