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Spielberichte

Tigers – Braunschweig

Mit einer 64:78 verlieren die Tigers ihr erstes Pflichtspiel der Saison gegen die Basketball Löwen Braunschweig und scheiden direkt in der ersten Runde aus dem BBL-Pokal aus. Viel interessanter als das in der einschlägigen Medienlandschaft so gerne zitierte Duell der Raubkatzen (@Michael Körner: ein 1-gegen-1-Konflikt zwischen einem echten Tiger und einem Löwen würde vermutlich an den gewichtsmäßig überlegenen Tiger gehen, wobei der Löwe als Rudeltier vermutlich das 1-gegen-1-Duell ao auch nicht suchen würde) war für mich dabei das Aufeinandertreffen zweier Teams, die sich eine sehr ähnliche Philosophie auf die Fahnen geschrieben haben. Sowohl Braunschweig, als auch die Tigers stehen in ihrer Außendarstellung für die Entwicklung junger Talente, denen auf höchstmöglichem Niveau Vertrauen geschenkt werden soll. So stand gestern das Duell von #jungwildhungrig gegen jung-hungrig-leidenschaftlich an, wobei der Sieg der Braunschweiger letzten Endes nie wirklich gefährdet war – und den Tigers aufgezeigt wurde, dass der Sprung in die BBL doch ein ordentlicher ist.

Spielverlauf

Die Tigers starten unsicher in die Partie, defensiv bekommen sie vor allem Jilson Bango nicht in den Griff, der unter dem Tübinger Korb nach Belieben wütet und acht der ersten 14 Braunschweiger Punkte erzielt – sechs davon per Dunk. Nach viereinhalb gespielten Minuten steht es 4:14 und Danny Jansson bittet zur Auszeit. Danach – meiner Meinung nach nicht zuletzt dank der Einwechslung von Aatu Kivimäki – finden die Tübinger besser in die Partie. Krišs Helmanis‘ Drop-Defense gegen das Pick-and-Roll hilft, die Löwen vom Tübinger Korb fernzuhalten und vorne fallen endlich ein paar Würfe. In der neunten Minute steht es 17:20 und Braunschweigs erste Auszeit steht an. Unnötigerweise fangen sich die Tigers kurz vor Viertelende noch einen Korbleger von Barra Njie (der auf mich wie eine ganz exzellente Verpflichtung der Löwen wirkt), so dass nach zehn Minuten ein Stand von 17:22 die Anzeigetafel der Paul Horn-Arne ziert.

Der Start in Viertel Nummer zwei ist aus Tigers-Sicht wieder zu verhalten. Defensiv stellt der pfeilschnelle Njie die Tübinger vor große Probleme und offensiv wirkt es so, als ob bei großen Teilen des Teams eine gehörige Portion Selbsvtertrauen fehlt. So steht es in der 12. Minute 19:27 und erst jetzt fangen sich die Tigers allmählich. Endlich wird Jhivvan Jackson offensiv als Scorer tätig, aber vor allem defensiv sieht es jetzt aus wie der Tigers-Basketball der Vorsaison: engagiert, richtige Körpersprache, gelungene Kommunikation. Als Resultat kommen die Löwen kaum mehr zum Tübinger Korb und nur die wirklich schreckliche Dreierquote der Tigers hindert sie daran, in dieser Phase in Führung zu gehen. In der 16. Minute kommen die Gastgeber so auf 28:30 heran, müssen vor allem aufgrund akuter offensiver Harmlosigkeit die Löwen bis zur Halbzeitpause aber wieder auf 32:38 davonziehen lassen.

Aus der Halbzeit kommen die Tigers als die selbstbewusstere Mannschaft. Endlich nimmt sich Jimmy Boeheim auch mal ein Herz, attackiert direkt gegen Martin Peterka und kann immerhin bei einem seiner beiden Drives scoren. Zwei Minuten nach der Pause steht es 38:40, doch es ist wieder die Wurfquote der Tigers, die nur selten unter dem Korb zu guten Abschlüssen kommen und von der Dreierlinie Fahrkarte nach Fahrkarte schießen, die verhindert, dass die Tübinger die Führung erkämpfen können. Zur Viertelmitte sind es immer noch nur mickrige sechs Punkte, die unsere jungen, hungrigen und leidenschaftlichen Raubkatzen erzielt haben, so dass Braunschweig sich wieder auf 38:46 absetzen kann. Auch Timo Lanmüllers Dreier zum 41:48 (27. Minute), der nochmal kurz Hoffnung aufkommen lässt, ist nicht der erwünschte Befreiungsschlag. Zehn Minuten vor Spielende steht es so 45:57 und so langsam drängt sich die Frage auf, ob die Tigers in diesem Spiel noch die magische 60-Punkte-Schallmauer durchbrechen werden.

Das Schlussviertel beginnt mit etwas, das ich gerne schon viel früher gesehen hätte: Jhivvan Jackson beschließt, dass nun Scoring-Zeit ist und stemmt sich offensiv alleine gegen die drohende Niederlage. Zehn Tigers-Punkte in Folge gehen auf das Konto des Puerto Rican Iverson – ein Zwischenstand von 55:65 und eine Braunschweiger Auszeit sind in der 34. Minute die Folge. Danach kann Braunschweig die Jackson-Show allerdings erfolgreich unterbinden, doppelt den potentesten Tigers-Scorer sogar kurzzeitig, während bei den Tübingern scoring-mäßig niemand in die Bresche springen kann. Es ist nicht so, dass die Tigers in dieser Phase den Eindruck machen, nicht mehr zu wollen, sie können einfach nicht – was mit Ausblick auf die bevorstehende Saison vielleicht sogar das entmutigendere Zeichen ist? Spätestens mit Barra Njies sehenswertem And-One-Dunk zum 60:73 ist drei Minuten vor Abpfiff die Messe gelesen und das Tübinger Pokal-Aus besiegelt.

Was mir sonst noch relevant erscheint

  • Two-Man-Show: für weite Strecken des gestrigen Spiels waren es Krišs Helmanis und Jhivvan Jackson, die die Tigers getragen haben. Helmanis hat mich vor allem defensiv beeindruckt. Gegen seine Drop-Defense im Pick-and-Roll hatte Braunschweig immer wieder Probleme und auch gegen den physisch extrem starken Jilson Bango konnte Helmanis – bei dem zumindest ich immer wieder vergesse, dass er erst dieses Jahr 21 geworden ist – beim Rebound wirklich dagegenhalten. Jackson war hingegen die einzige zuverlässige Offensiv-Waffe der Tigers. Nach drei Vierteln, die für mich schon wieder fast zu zurückhaltend waren, drehte er im Schlussabschnitt auf und demonstrierte eindrücklich, dass er momentan der einzige wirkliche Scorer im Tigerskader ist – was er von mir aus schon viel früher hätte tun können. Statistisch steuerten Helmanis und Jackson gemeinsam 30 der 64 Tübinger Punkte, 15 der 29 Tübinger Rebounds und 6 der 15 Tigers-Assists bei – jeweils 47, 52, bzw. 40 Prozent der Gesamtausbeute ihrer Mannschaft. Diese Verteilung spricht sowohl für die starke Leistung der beiden, illustriert aber auch, wie wenig Unterstützung sie von ihren Mitspielern erhalten haben.
  • Verletzungssorgen: „Wir können über lange Strecken gut mithalten, müssen uns aber auch aufgrund der vielen Verletzungen am Ende geschlagen geben“ – so die Einordnung der Partie auf dem offiziellen Tigers-Instagram-Account. Diesem Erklärungsansatz für die Niederlage kann ich nur bedingt zustimmen, besonders da nur zwei Tigers-Akteure verletzt fehlten: Daniel Keppeler mit seiner Sprungelenksverletzung, die langwieriger zu sein scheint, als zunächst erwartet, und Mateo Šerić, dessen Rückkehr nach seinem Mittelhandbruch zumindest abzusehen zu sein scheint (auf der Tigers-Website heißt es, dass er eventuell am 21.10. gegen Heidelberg schon wieder mitwirken kann). Trotzdem konnte Danny Jansson auf eine Zwölfer-Rotation zurückgreifen, die er auch komplett nutzte – und dabei mit Erol Ersek auch noch einen siebten Import-Spieler auf der Bank sitzen hatte. Das Tigers-Statement lässt es hingegen so aussehen, dass die Niederlage am Ende Ermüdungserscheinungen aufgrund des zu dünnen Kaders geschuldet war – eine Erklärung, die ich so als unzutreffend ansehe.
  • Woher kommt die Offense? Trotzdem hat sich ein Ausfall gegen Braunschweig doch sehr bemerkbar gemacht – wäre Mateo Šerić im Kader gewesen, hätte das offensiv meines Erachtens einen Unterschied für die Tigers machen können. So fehlte der mit Abstand beste Scorer auf den deutschen Positionen, der vor allem gegen Martin Peterka auch im Post-Up hätte attackieren können und so hin und wieder den Weg zum Braunschweiger Korb gefunden hätte. Genau hier lag in meinen Augen nämlich das Problem der Tübinger Offensive: Neben Jhivvan Jackson per Drive und hin und wieder Krišs Helmanis im Post konnte sich kein Tigers-Spieler gute Abschlüsse in der Zone kreieren – ok, Kao kam zu zwei einfachen Dunks und einem Korbleger, bekam diese Abschlüsse aber von seinen Mitspielern aufgelegt und ist offensiv generell unglaublich abhängig, von den Chancen, die seine Teammates für ihn schaffen.
    Von den 33 Tübinger Versuchen aus dem Zweierbereich kamen 15 von Jackson/Helmanis (bei einer starken Trefferquote von 11/15). Der Rest des Teams wirkte auf dem Weg zum Korb entweder zu zögerlich (Grüße an Jimmy Boeheim, der sich hier im Laufe der Partie aber etwas gesteigert hat), oder fand einfach nicht die Wege, erfolgreich zu finishen, oder aber mal ein Foul zu ziehen. Der große statistische Unterschied zwischen der Tübinger und der Braunschweiger Offense bestand am Ende nicht einmal bei den Wurfquoten, sondern den Freiwurfversuchen: hier stand es 7:18 aus Tübinger Sicht. Wenn der Dreier über die Partie nur mit 25 Prozent fällt, gewinnt man so eben kein Spiel. Damit ist für mich die Offensive der Tigers zu Saisonstart das Problemthema Nummer eins – besonders gegen die Top-Teams aus Bonn und Ulm wird es spannend zu sehen, ob die Tigers vielleicht sogar mal unter 60 Punkten bleiben.
  • Tigers-Identität: Nach einer unterwältigenden Anfangsphase kam für mich die Wende im Spiel der Tigers, als in den letzten Minuten des ersten Viertels mit Aatu Kivimäki, Till-Joscha Jönke und Krišs Helmanis drei Aufstiegshelden gemeinsam auf dem Feld standen. Angetrieben nicht zuletzt durch Edelmotivator Jönke stand jetzt ein Lineup auf dem Feld, das so spielte, wie man es von letzter Saison gewohnt war: emotional, defensiv aggressiv, sich gegenseitig unterstützend und anfeuernd. Wenn die Tigers dem Abstieg entgehen wollen, müssen sie es schaffen, dieses Mindset auf die ganze Mannschaft zu übertragen. Anders als mit konstantem Vollgas ist das große Saisonziel Klassenerhalt sonst nicht zu erreichen. Hier kann und wird es sich hoffentlich auszahlen, vor allem auf den deutschen Positionen so sehr auf Kontinuität gesetzt zu haben.
  • 1402 Zuschauer:innen: Schon in der DYN-Übertragung wirkte die Stimung in der Paul Horn-Arena für mich ausbaufähig und machten mir die großen Lücken in den Sitzplatzblöcken Sorgen, doch dass mit nur 1402 Menschen die Halle zum Saisonauftakt (!) in einem KO-Spiel (!) nicht einmal halb ausgelastet war, fand ich doch sehr schockierend, als ich die offiziellen Zuschauer:innen-Statistiken gesehen habe. Es stellt sich mir dabei die Frage, ob die Menschen in Tübingen einfach nicht wussten, dass ein auf dem Papier derart attraktives Tigers-Spiel stattfindet, oder ob sie einfach kein Interesse daran hatten – was davon schlimmer wäre, kann ich gar nicht sagen. An den vorherigen Punkt anschließend glaube ich auf jeden Fall nicht daran, dass mit einem derartigen Support der Klassenerhalt machbar ist. So wie der Kader sich momentan präsentiert, muss er über Emotionen und Einsatz kommen, was in einer leeren Halle natürlich schwierig ist.