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Saisonvorschau

Saisonvorschau, Teil 1 – Kao

Eigentlich war es mein Plan, in die Saisonvorschau mit einem weiter angelegten Beitrag einzusteigen, der diverse tiefgreifende Fragen an die kommende Tigers-Saison stellt und zu beantworten versucht (wird Jhivvan Jackson einschlagen wie gehofft, beehrt uns Collegelegende Jim Boeheim in der Paul Horn-Arena, wird Boggy mit einem Tribute Video begrüßt, welche Schuhe wird Prof. Dr. Bamberg beim letzten Saisonspiel tragen…). In der Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich aber gemerkt, dass meine Gedanken immer wieder zu dem Spieler zurückgekehrt sind, den ich als die spannendste Tigers-Neuverpflichtung seit Daequan Cook (Preseason ist immer eine Zeit der Superlative!) bezeichnen würde: Kaodirichi ‚Kao‘ Akobundu-Ehiogu. Noch nie hatte ein Tigers-Spieler solche körperlichen Anlagen, die sogar in der BBL einzigartig sein sollten. Gleichzeitig stellt sich aber die ernsthafte Frage, ob Kao bereit ist, seine grandiosen Voraussetzungen in der BBL auch nur halbwegs sinnvoll einzusetzen. Es folgt nun also der Versuch, den faszinierenden neuen Tigers-Big Man besser zu verstehen und einzuordnen, was man in der kommenden Spielzeit als Fan von ihm erwarten kann.

Kao, das Supertalent

Auf die Frage, warum die Tigers Kaodirichi Akobundu-Ehiogu verpflichtet haben finden sich schnell viele Antworten: mit ihm bekommen die Tigers einen jungen Big Man, der aus dem Stand höher springt als der größte Teil der BBL-Spieler aus dem Lauf, der sich für seine 2,08m Körpergröße unglaublich flüssig bewegt und der jetzt schon einen hervorragenden Instinkt dafür besitzt, Würfe zu blocken (siehe zum Beispiel hier). Auf der Gegenseite ist Kao ein Spieler, der in keiner seiner Collegesaisons mehr als 4,7 Punkte pro Spiel aufgelegt hat (hier seine Collegestatistiken), dem Augenschein nach offensiv nur in absoluter Korbnähe zu überzeugen weiß und an anderen Stellen des Spielfelds den Ball wohl besser nicht in den Händen halten sollte. Ein weiteres großes Fragezeichen steht für mich hinter seiner physischen Robustheit. Auf der Seite der BBL wird Kao offiziell mit 86 Kilo Körpergewicht gelistet – zwei Kilo weniger als der 15 cm kleinere Erol Ersek. Hier tut sich also auch die Frage auf, wie Kao gegen die physischen Big Men ankommt, die sich in der BBL auch in der unteren Tabellenhälfte tummeln (Grüße an dieser Stelle an Jilson Bango, Nicolas Carvacho und Bryan Grifffin, um nur ein paar Schwergewichte der vergangenen Spielzeit zu erwähnen).

Die Frage, wie und ob Kao seine unbestreitbaren Qualitäten (lies: massive Rim Protection, vertikales Spacing als Lob-Abnehmer, Offensivrebouding) in der BBL gewinnbringen einsetzen kann, ist zu diesem Zeitpunkt wohl von niemanden seriös zu beantworten und auch im Tigers-Coaching Staff wird man sich keine Illusionen darüber machen, dass Kao eine absolute Wundertüte ist. So wurde auch in der PM zu Kaos Verpflichtung angekündigt, dass er Zeit brauchen wird, um sich an die Bundesliga zu gewöhnen – die Frage ist, wie viel Entwicklungszeit die Tübinger, die von Anfang an gegen den Abstieg kämpfen werden, ihrem neuen Big Man zugestehen können. Besonders wenn Erol Ersek, wie es sich momentan abzeichnet, zu Beginn der Saison noch keinen deutschen Pass erhalten haben sollte, wird es spannend, wer von den sieben Import-Spielern der Tigers aussetzen wird. Wenn Kao in der Vorbereitung – an der er bis jetzt aus Visumsgründen wohl auch noch nicht teilgenommen hat – nicht direkt überzeugen kann, ist es für mich nicht unvorstellbar, dass er den Saisonbeginn erst einmal von der Seitenlinie verfolgen muss.

Gleichzeitig ist es aber wieder einmal Danny Jansson, der mich auch in diesem Kontext optimistisch stimmt. Über die letzten Jahre hat der Tigers-Coach immer wieder bewiesen, wie gut er mit jungen Spielern umgehen kann, und wie willens er ist, ihnen auch früh schon Verantwortung zu übertragen. Wenn Danny und Kao tatsächlich Lust auf die gemeinsame Zusammenarbeit haben, sich Coach Jansson Kao mit all seinen Fragezeichen bewusst in den Kader geholt hat und die Verpflichtung nicht für eine der beiden Seiten eine Art Notlösung war, soll das für mich reichen, um dem Projekt optimistisch entgegenzusehen. Und – Achtung mittel-hotter Take – zumindest ein Nummer 1-Play in den BBL-Top 10 der Woche sollte für Kao diese Saison auf jeden Fall herausspringen.

Kao, das Social Media-Phänomen

Man würde der Verpflichtung Kaos nicht gerecht, besonders in Zeiten von Social Media und dem immerwährenden Kampf um digitale Aufmerksamkeit, wenn man ausblenden würde, dass die Tigers in ihm nicht nur einen hochinteressanten Spieler verpflichtet haben, sondern auch eine veritable Online-Marke. Viel mehr durch seine Dunking-Videos, als durch in-Game-Highlights, hat der 23-Jährige eine deutlich größere Online-Präsenz erreicht, als die Tigers mit all ihren ehrlichen Social Media-Bemühungen. Mit knapp 50.000 Followern auf Instagram steht Kao in dieser Hinsicht nur knapp hinter den deutschen Euroleague-Teilnehmern ALBA BERLIN, die bei ca. 54.000 Followern stehen – und weit vor den Tigers, die mit 10.700 Followern nicht mal ein Viertel der Menschen erreichen, die ihr neuer Big Man zu seinen Abonnent:innen zählen kann. Noch beeindruckender ist Kaos Reichweite auf TikTok, wo das das handliche Hashtag #kaodirichiakobunduehiogu 6,4 Millionen mal geklickt wurde. Auch vor Youtube machte der Kao-Hype nicht halt, hier hat das populärste Video, in dem der Tigers-Neuzugang vor allem seine Dunking-Fähigkeiten präsentiert ganze 1,1 Millionen Aufrufe und ist dabei auch noch relativ sehenswert – wobei auch hier spannend ist, dass Kao nicht in Spielsituationen zu sehen ist, sondern vor allem in 1-gegen-0-Situationen gut aussehen darf; wobei sein Sprungwurf aber mechanisch überraschend sauber aussieht – mal schauen, wie viel wir davon sehen dürfen.

Es wird zumindest für mich unglaublich interessant zu sehen, wie die Tigers mit diesem Hype umgehen, der ihren Neuzugang umgibt, und der für eine durchaus spannende Dynamik zwischen Arbeitgeber und -nehmer sorgen kann. Natürlich bieten die Tigers Kao eine Bühne, sich im europäischen Profibasketball zu zeigen und auszuprobieren, gleichzeitig besteht für die Tigers aber auch eine Chance, Kaos bestehende Plattform und Highlight-Potential zu nutzen, um sich als Club selbst ins Rampenlicht zu rücken. Momentan ist in Kaos Instagram-Bio noch nichts von den Tigers zu lesen und auch in seinem Feed taucht seine neue Mannschaft noch gar nicht auf. Als Tigers-Social-Media-Verantwortlicher wäre es mir ein großes Anliegen, das so schnell wie möglich zu ändern. Und auch was den Tigers-eigenen Social Media-Auftritt betrifft, bieten besonders Trainings- und Warmup-Videos von Kao großes Potential für nach unten fallende Kinnladen und könnten zumindest in der deutschen Basketball-Bubble ein gewisses Maß an Viralität erreichen – auch wenn man solche Videos vermutlich dosiert einsetzen müsste, um das ganze Team nicht in den spektakulären Schatten Kaos fallen zu lassen. Ich hoffe inständig, dass die Social Media-Abteilung der Tigers einen guten Umgang mit Kao findet und dass die durch ihn generierbare Aufmerksamkeit eventuell sogar der Suche nach einem neuen Namenssponsor zuträglich sein könnte.

Kao, der Tigers-Spieler

So viele Fragezeichen Kao vor der Saison noch aufwirft, mit der Verpflichtung des Riesen-Talents ist sich Danny Jansson in einem Punkt treu geblieben: seit er die Tigers-Kader selber zusammenstellen darf, ist für ihn noch kein klassischer Brettcenter aufgelaufen, der vor allem durch Physis, Masse und Durchschlagkraft unter dem Korb überzeugt – und mit Kao bleibt es auch dabei. Bei den Tigers sind die Zeiten von Schränken wie Robertas Grabauskas, Gary McGhee, oder meinem unvergessenen Favoriten Javon McCrea vorbei, und werden auch mit dem Aufstieg in die Bundesliga nicht zurückkehren. Persönlich hätte ich mir durchaus vorstellen können, dass Jansson mit dem Aufstieg in die Bundesliga von dieser Linie abweichen würde, um gegen die physischeren Frontcourts der Liga mitzuhalten, doch die Strategie dieser Saison sieht wohl explizit kein physisches Wettrüsten mit den BBL-Rivalen vor, sondern – und dafür ist Kao das letzte Indiz – einen ‚Leichtbau‘-Frontcourt, der seine Gewichts- und Stärkenachteile durch Agilität und Athletik wettmachen muss.

Ein Blick auf die Tigers-Spielerliste auf der BBL-Website illustriert diesen kaderplanerischen Ansatz: der schwerste Tigers-Spieler dieser Saison ist Krišs Helmanis mit 100kg, auf den Daniel Keppeler mit immerhin 99kg und Combo-Forward Jimmy Boeheim mit 98 kg folgen. Danach fällt die Gewichtsaufteilung des Kaders rapide ab, wobei auffällig ist, dass mit Kaodirichi Akobundu-Ehiogu und Bakary Dibba zwei für ihre Größe außergewöhnliche leichte Spieler (86 und 82 kg) aller Voraussicht nach wichtige Minuten im Frontcourt gehen werden. Auch wenn offizielle Gewichtsangaben von Profi-Basketballern immer mit einer gehörigen Portion Vorsicht zu genießen sind, ist doch ein klarer Trend zu erkennen: Besonders im Halbfeld werden die Tigers Probleme haben, sich defensiv im 1-gegen-1 gegen physische Center im Post-Up und eventuell auch beim Rebounding (wobei hier besonders Kao und Dibba aber auch ihre überdurchschnittliche Sprungkraft zu Gute kommen sollte) zu behaupten. Im Gegenzug sehe ich den Frontcourt der Tigers allerdings als einen der mobilsten der Liga, bei Krišs Helmanis und eventuell Mateo Šerić würde ich kleine Abstriche machen, aber ansonsten stehen mit Keppeler, Kao, Dibba und auch Jimmy Boeheim hier Akteure bereit, die ohne Probleme das Pick and Roll hedgen oder sogar switchen können sollten.

Ohne mich zu weit aus der Kristallkugel lehnen zu wollen rechne ich also, besonders nach der Verpflichtung von Kao und nun auch noch der von Christoph Philipps, mit einer Tigers-Mannschaft, die in der Defensive fast noch mehr als die letzten Saison über Druck und Intensität kommen muss – d.h. aggressive Verteidigung des Pick and Roll, schnelles und hartes Doppeln im Post, konsequentes Umschaltspiel nach Rebounds und Ballgewinnen. Mit dem aktuellen Spielermaterial und vor allem der Tiefe der Rotation, die für einen Aufsteiger wirklich eindrucksvoll ist, kann ich mir vorstellen, dass es den Tigers gelingen kann, mit diesem Ansatz sowohl zu Beginn der Saison unvorbereitete Teams zu überrumpeln, als auch eventuell den einen oder anderen Achtungserfolg gegen ausgelaugte Teams aus dem internationalen Wettbewerb zu erzielen. Und wenn ich mir abschließend eines wünschen dürfte, möchte ich sehr darum bitten, dass Danny Jansson auch in der BBL wieder die 1-3-1-Zone auspackt, die in der Pro A schon teils für arge Probleme und Druck bei unvorbereiteten Gegnern sorgen konnte, und die diese Saison mit Dibba als Speerspitze an der Dreierlinie und Kao dahinter als Abfangjäger besonders schmackhaft erscheint.